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Lord of the Toys

Selten hat mich ein Film so überfordert wie Lord of the Toys. Nicht weil die Handlung zu komplex war, nicht weil er mich emotional überlastet hat und auch nicht weil er Vorwissen benötigte. Es ist ein Dokumentarfilm und ich habe keine Ahnung, wie ich das Gesehene einordnen kann. Ich kann nicht einordnen, was dieser Film für meine Vorstellungen, wie unsere Gesellschaft funktioniert, bedeutet. Wie soll ich angesichts dieses Films gerade in diesen Zeiten die Hoffnung bewahren. Dabei handelt es sich nicht um eine Tragödie, nicht um ungerechtes Leid, der Film endet sogar mit einer versöhnlichen Note. Doch im Zentrum des Ganzen steht eine Sinnlosigkeit, die jeden Versuch eines Diskurs lachhaft erscheinen lassen kann.

Meine Probleme beginnen schon damit zu beschreiben, worum es in dem Film geht. Es ist das Porträt einer Gruppe junger Männer. “Rechte Youtuber” so schrieb ich es noch einem Freund vor der Vorstellung auf die Frage, was ich mir denn anschauen werde. Dafür wurde Lord of the Toys bekannt, als er auf der DOK Leipzig 2018 den Preis die Goldene Taube gewann und bekämpft wurde als ein Film, der rechten Youtubern eine Plattform gäbe. Auf eine gewisse Art setzt damit die Auswertung des Films genau sein Sujet fort.

Aber zuerst versuche ich mich einmal an dem Inhalt. Seit beinahe 24 Stunden versuche ich immer wieder in meinem Kopf Worte dafür zu finden, was ich gesehen habe.

Max Herzberg hat das geschafft, was ein neuer Traum vom Berühmt werden ist. Er ist ein erfolgreicher YouTuber mit einer Reichweit von über 100.000 Subscribern. Neben dem Unboxing von Messern, die wahrscheinlich unter das Waffenrecht fallen, geht es vor allem immer und immer wieder um seine Freunde, die auch fast alle mit Reichweite auf den Social Media Plattformen vertreten sind. Wobei auch das Wort Freunde falsch klingt, denn um an Max’s Ruhm teilhaben zu können, muss man sich anscheinend demütigen lassen, sich beleidigen und ausnutzen lassen. Viele dieser Erniedrigungen werden direkt auf Instagram gestreamt. Sie zeigen ganze Abende an denen sie viel, viel zu trinken und sich gegenseitig beleidigen. Der Film eröffnet mit einer Feier von ein paar jungen Männern auf einem Platz in Dresden. Max öffnet eine Flasche Sekt, er versucht mit ihr eine aufgeschnittene Wassermelone zu spritzen. Doch so schnell geht es nicht und Max reißt mit der Hand das Fruchtfleisch aus der Schale, wirft dieses auf Gehweg und beginnt aus der Schale zu trinken. Offenbar sind alle so besoffen, dass sich der Abend dem Ende zuneigt. Doch in der Wohnung wird Max von einem seiner Freunde zu einem Trinkwettstreit herausgefordert, den er eigentlich verliert, doch auf Grund einer Spitzfindigkeit erklärt er sich zum Sieger und kann nun diesen erniedrigen. In einer viel zu langen Sequenz ist man gezwungen sich anzuschauen, wie Max seinen Gegner vergast. Das ist kein sprachlicher Ausrutscher meinerseits. Max besprüht den Verlierer des Wettbewerbs mit Deo und ruft immer wieder “Ich vergase dich, ich vergase dich. Du wolltest doch, dass ich dich vergase”. Dazwischen ertönt der immer wieder genauso identitätsstiftende wie sinnlose Ausruf der Gruppe “Mulm!”. Schließlich endet die Sequenz damit, dass der Verlierer im Off der Kamera kotzt und Max nun endlich die Tür zu zieht. Kurz danach sitzt er in der Küche und lässt verloren zwischen zwei Fingern einen Fidget Spinner, ein Spielzeug, sich drehen. Dies ist der erste Moment an dem nur die Kamera des Dokumentarfilms die Situation einfängt. Das erste Mal das nichts live gestreamt wird.

Willkommen in einem Tag des Dokumentarfilms Lord of the Toys. Im Laufe des Films fallen noch deutlichere rechte Sprüche und es wird noch mehr gesoffen, noch mehr “Späße” werden gemacht. Aufgrund der Verwüstungen eines Gelages verliert einer seine Wohnung. Und all dies als großer Spaß, der jederzeit auf den Social Media Kanälen der Gruppe abrufbar ist. Max vermarktet ein Image als ostdeutscher Mann aus der Unterschicht mit Glücksspielsucht, einem immensen Alkoholkonsum und eine rechtsextremen Attitüde. Die ganze Zeit ist für mich nicht klar, was davon Marke ist und was er. Dies liegt weniger an der Verschmelzung von Online- und Real-Life-Persona als das Max die ganze Zeit nicht greifbar wird. Während der ganzen anderthalb Stunden ist es schwer, auch nur einen Hauch von Max zu erhaschen, der nicht kalkuliert wirkt. Während einige der anderen Protagonisten anfangen mehr von sich zu zeigen, bleibt Max dieses Mysterium. Vielleicht liegt es daran, dass ihm bewusst ist, dass die Dokumentarfilmkamera immer noch läuft. In einem seltsam geschliffenen Abendessen-Dialog mit seiner Freundin, teilt sie ihm mit, er sei ihr manchmal zu unromantisch. Max’s Reaktion ist es aufzustehen und dabei mitzuteilen, dass er mal kacken ginge. Ein Dialog wie aus einem Drehbuch.

Vielleicht rührt meine Überforderung daher, dass der Umgang der Gruppe miteinander eine Belohnung erfordert. Anders kann ich es mir nicht erklären, wieso man all die Beleidigungen, all diese Verachtung hinnimmt und sich nicht sich andere Leute sucht. Die einzigen Hoffnungen, die zur Sprache kommen, sind die Hoffnungen selber mehr Social-Media-Reichweite zu bekommen und zum Influencer zu werden. Vielleicht hat der Eindruck in der alten Gesellschaft keine Perspektive zu haben, dazu geführt, dass sich in diesem Freundeskreises Zeichen online wie offline verstärkt haben, die dazu führen, dass all diese Psycho-Kämpfe ein Zeichen der Zugehörigkeit sind. Und es gibt offenbar ein Publikum dafür. Doch es ist kein Punk, es ist keine Revolution. Keiner spricht über die Idee dahinter. Es gibt keinen Überbau.

Hier bin ich in dem Zentrum meiner Überforderung. Mich interessiert nicht mehr so sehr, dass Max und Konsorten rechte Codes benutzen. Mich schockiert vielmehr, dass sie all diese sprachliche Gewalt vor allem untereinander anwenden und dafür von Hunderttausenden vermutlich jungen Männern angeschaut werden. Jeder Appell an Menschlichkeit und Moral erscheint mir angesichts dieses gelebten Nihilismus hinfällig. In meiner Vorstellung wird auf die Schilderung des Ertrinkens im Mittelmeer mit einem Lachen geantwortet: “Geil! Mulm!”

Gerade wegen des Vorwurfs der Film gäbe Nazis eine Plattform halte ich ihn für ungemein wichtig. Wie weit schaffen wir in unserer demokratischen Mitte die Ausgrenzung, die dazu führt, dass Leute wie Max solch einen Erfolg haben können und jeden aufnehmen, der so dringend Anschluß braucht, dass er sich Tag für Tag in der Öffentlichkeit erniedrigen und bloßstellen lässt.

Vielleicht ist meine Überforderung und meine Ratlosigkeit angesichts dieses Film das passende Gefühl für unsere Zeiten. Und ich möchte jeden von euch bitten, schaut euch diesen Film und schaut, was er mit euch macht. Denn vielleicht führt Ratlosigkeit auch dazu, dass sich neue Ideen entwicklen wie man mit diesem Auseinanderbrechen der Menschlichkeit umgehen kann. Denn solche brauchen wir dringend.

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